„Grundrechte sollen bei der Websuche im Vordergrund stehen“

Interview mit Dr. Christian Geminn. Der Jurist ist Geschäftsführer der Forschungsgruppe provet an der Universität Kassel, im Vorstand der Open Search Foundation sowie Moderator der osf-Fachgruppe Legal.

Interview: Susanne Vieser

Während wir im Internet nach Informationen fahnden, stellen sich rechtliche Fragen: Welche Ergebnisse zeigt die Suchmaschine – und welche nicht? Werden dadurch etwa Inhalte unterdrückt oder gar gefördert? Meistens klicken Nutzer:innen auf die ersten 15, 20 Ergebnisse, der Rest ist irrelevant. So beeinflusst das Ranking den (wirtschaftlichen) Wettbewerb. Auch eine offene Suche wirft rechtliche Fragen auf: „Aus juristischer Sicht sind viele Fragen einer offenen Websuche ungeklärt“, meint Christian Geminn.

Der promovierte Jurist widmet sich aus unterschiedlichen Perspektiven dem Umgang mit Daten. Dafür forscht und lehrt Geminn an der Universität Kassel, führt die Geschäfte der Datenrecht-Beratungsgesellschaft und leitet zusammen mit Kai Erenli von der Fachhochschule Wien die Gruppe Legal der Open Search Foundation. Wichtigstes Anliegen: Technik so entwickeln, dass dabei rechtliche und demokratische Grundprinzipien berücksichtigt werden. „Die rechtliche Regulierung neuer Technologien und neuer sozialer Praktiken erfolgt meist erst, wenn diese sich bereits verfestigt haben“, stellt Geminn fest. Das aber muss sich in Zukunft ändern: damit das Internet freiheitlicher, demokratischer wird und weniger von wirtschaftlichen Interessen gesteuert.

Was interessiert den Juristen an einer offenen Suche?

Dr. Christian Geminn: Aus juristischer Sicht sind viele Fragen einer offenen Websuche ungeklärt. Diese Fragen zu klären ist schwierig aber auch sehr spannend. Die Websuche berührt viele Rechtsbereiche, etwa das Wettbewerbsrecht, das Urheberrecht, das Datenschutzrecht und viele weitere Rechte. Welche persönlichen Grundrechte sind von Suchmaschinen betroffen? Aus Sicht eines Laien überraschend viele. Zu nennen sind vor allem die Meinungsfreiheit, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu informieren. Natürlich können sich auch die Betreiber:innen von Suchmaschinen auf Grundrechte berufen.

Was wollen Sie bei der OSF erreichen?

Geminn: Als Jurist möchte ich das Konzept einer Technikgestaltung, die von Grundrechten geleitet wird, in einer wichtigen Basis-Infrastruktur des Internet, der Suche, verwirklicht sehen. Das soll sicherstellen, dass nicht wirtschaftliche Interessen, sondern insbesondere Grundrechte und Rechtsprinzipien im Vordergrund stehen und bei der Suche eingefordert werden können.

Suchtechnologie möglichst so entwickeln, dass Grundrechte gewahrt bleiben, ist ein Anspruch der OSF – ist das überhaupt möglich? Und haben Sie ein Beispiel, wo das schon funktioniert?

Geminn: Die grundrechtsgeleitete Technikgestaltung wird seit vielen Jahren erfolgreich praktiziert, etwa in der Gestaltung von Apps und Hardware. Der Ansatz muss im Entwicklungsprozess aber häufig gegen gegenläufige Interessen verteidigt werden. Auf die Internetsuche wurde der Ansatz bisher noch nicht in umfassender Weise angewendet.

In Internetfragen scheinen Politik und Legislative immer einen Schritt hinterher zu sein: Finden Sie denn mit Ihrem Anliegen Gehör bei Jurist:innen und Politiker:innen?

Geminn: Die rechtliche Regulierung neuer Technologien und neuer sozialer Praktiken erfolgt meist erst, wenn diese sich bereits verfestigt haben. Sie können folglich nur noch schwer und gegen starke Widerstände abgeändert werden. Dadurch entsteht einerseits der Eindruck, das Recht hinke hinterher. Andererseits sind seine Grundprinzipien – seien sie verfassungsrechtlich oder einfach gesetzlich verankert – stets schon da, wo auch immer die Technik sich hin entwickeln mag.

Was treibt Sie persönlich an beim Thema offene Suche?

Geminn: Die Möglichkeit, einen Beitrag dazu zu leisten, dass das Internet etwas von der Dominanz von Geschäftsinteressen verliert.

Wagen Sie mal einen Blick in die Zukunft – was würden Sie gerne in 5 Jahren auf den Weg gebracht oder sogar durchgesetzt haben?

Geminn: Idealerweise haben wir in fünf Jahren den Grundstein gesetzt für eine Pluralisierung des Suchmaschinen-Marktes sowie für eine Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Christian Geminn

Dr. Christian Geminn
Jurist, Geschäftsführer der Forschungsgruppe provet an der Universität Kassel, Vorstand, Moderator Fachgruppe Legal