„Kinder sind Multiplikatoren, wenn es darum geht, das Denken von Generationen zu verändern“
Interview mit Prof. Dr. Melanie Platz. Sie ist Professorin an der Universität des Saarlandes und Co-Projektleiterin der OSF-Fachgruppe Education+Literacy.
Interview: Susanne Vieser
Informationen zu einem Buch, zu Pflanzen oder zur Geschichte der Region, in der sie leben: Schon in der Grundschule suchen Kinder im Internet nach Informationen. Allerdings: Sie lernen dabei meistens nichts über die Funktionsweise von Suchmaschinen, vor allem nichts zur Arbeitsweise von deren Betreibergesellschaften. Im Unterricht wird selten hinterfragt, ob alle Hinweise wirklich richtig sind und wie Informationsquellen zu beurteilen sind.
Wenn es nach Melanie Platz geht, muss sich das schleunigst ändern: „Kinder wachsen heute mit Suchmaschinen auf, sie können und wollen die Funktionsweise verstehen“, stellt die promovierte Mathematikerin und Lernwissenschaftlerin Melanie Platz fest, und: „Kinder spielen hier eine zentrale Rolle als Multiplikatoren, wenn es darum geht, das Denken und die Entscheidungsfindung von Generationen zu verändern.“ Platz lehrt an der Universität des Saarlands in Saarbrücken und macht sich bei der Open Search Foundation (OSF) für praktische Anwendungsmöglichkeiten einer offenen Suche stark, neuerdings außerdem für Unterrichts- und Fortbildungskonzepte.
Sollte es ein Schulfach Internet-Suche geben?
Prof. Dr. Melanie Platz: Auch wenn die Idee eines eigenen Schulfaches reizvoll ist, sehe ich aktuell keine Chance dies umzusetzen, vor allem aufgrund der Strukturen, die in unserem Schulsystem vorherrschen. Dennoch sollte das Thema Internet-Suche eine zentralere Rolle einnehmen und – gerade in der Grundschule – an bekannte Inhalte geknüpft werden. Wie Algorithmen sortieren, könnte beispielsweise mit Hilfe der Zuordnung geometrischer Figuren erklärt werden. Bereits von Grundschulkindern wird heute erwartet, internetbasierte Recherchen durchzuführen. Sie nutzen dafür Suchmaschinen, ohne deren Funktionsweise zu kennen oder zu hinterfragen.
Generell stellt die Beschaffung von Informationen im Internet und deren Nutzung für alle Aspekte des Lernens eine der häufigsten Tätigkeiten von Schüler:innen dar. Auch Lehrer:innen wissen oft nicht, wie Suchmaschinen funktionieren und welche Folgen das zum Beispiel auf unsere Privatsphäre hat. Deshalb müssen fächerverbindende Unterrichts- und Fortbildungskonzepte entwickelt werden, die es Lehrer:innen und Schüler:innen ermöglichen, Search Engine Literacy oder Suchmaschinen- und Informationskompetenz im Zusammenhang mit bekannten Inhalten aufzubauen.
Was sollte jede:r über das Suchen im Internet wissen?
Platz: Dass Suche niemals objektiv ist, dass dabei persönliche Daten und Informationen zur Internetnutzung gesammelt werden und dass die Wahl der Suchmaschine eine wichtige Rolle spielt.
Können Sie Eltern oder anderen Erziehenden eine Suchmaschine für Kinder empfehlen?
Platz: Drei Kinderseiten und Suchmaschinen kann ich empfehlen: Blinde-Kuh.de, Fragfinn.de und helles-koepfchen.de
Welche Lerninhalte sind Ihnen wichtig?
Platz: Schon Kindern sollten die Funktionsweisen einer Suchmaschine vermittelt werden. Sie benötigen bereits im Grundschulalter das Wissen, wie sie richtig nach Informationen suchen, wie sie Ergebnisse bewerten können und welche Risiken durch die Preisgabe personenbezogener Daten entstehen können.
Konnten Sie schon Schulen und Lehrer:innen vom Thema Suchen überzeugen?
Platz: Aktuell werden Lernumgebungen zum Thema Search Engine Literacy mit Studierenden entwickelt und mit Schüler:innen erprobt, um bereits im Lehramtsstudium ein Bewusstsein für das Thema zu schaffen und künftige Lehrende so für das Thema zu begeistern, dass sie es hoffentlich später im Schulalltag vermitteln. Wir planen außerdem auch Fortbildungen zum Thema für Lehrer:innen.
Wie kamen Sie als Didaktikerin zur OSF?
Platz: Mein Doktorvater, Prof. Dr. Engelbert Niehaus, hat mich auf die Open Search Foundation aufmerksam gemacht. Da ich mich in meiner Arbeit schon immer mit Open Source, Open Content und Open Educational Ressources auseinandergesetzt habe, fand ich die Idee einer offenen, transparenten Suche interessant. Durch die Recherche für einen Beitrag beim Open Search Symposium 2020 wurde mir auch die didaktische Bedeutung bewusst.
Kinder wachsen heute mit Suchmaschinen auf, sie können und wollen die Funktionsweise verstehen. Es ist wichtig, sie dabei zu unterstützen, ihnen also die Gefahren, aber auch das Potenzial zu vermitteln, die das eigene Verhalten und Handeln beeinflussen. Kinder spielen eine zentrale Rolle als Multiplikatoren, wenn es darum geht, das Denken und die Entscheidungsfindung von Generationen zu verändern.
Warum engagieren Sie sich bei der OSF?
Platz: Wegen der Relevanz des Themas, der Idee der offenen, transparenten Suche und vor allem auch wegen dem großartigen Team.
Wagen Sie einen Blick in die Zukunft – was möchten Sie in Sachen Suche in fünf Jahren erreicht haben?
Platz: Ich hoffe, bis dahin mit dazu beigetragen zu haben, ein Bewusstsein für das Thema Suche zu schaffen. Außerdem sollen bis dahin qualitativ hochwertige Unterrichtsbausteine vorliegen, die tatsächlich eingesetzt werden, um damit das Thema bereits in der Grundschule nachhaltig zu verankern.
Melanie Platz
Professorin Universität des Saarlandes, Co-Moderatorin Fachgruppe Education+Literacy